Cover: Eating Snow - Eating Snow

Gute Freundschaft kann zu wunderbaren Dingen führen. Im Falle der beiden Musiker Mooryc und Douglas Greed etwa führte sie zur Geburt von „Eating Snow“, einer Kollaboration, die die Talente und Markenzeichen der beiden vereint und daraus ein überaus gelungenes Electronic-Debüt hervorbringt. Das Album, das ebenfalls den Namen „Eating Snow“ trägt, ist so facetten- und abwechslungsreich, wie man es sich von zwei Multitalenten wünscht und legt darüber hinaus nochmal nach. 

Der aus Polen stammende Mooryc kann bereits auf ein äußerst erfolgreiches Soloalbum stolz sein, das gekennzeichnet war von einer tanzbaren Schwermütigkeit. Als Multi-Instrumentalist und Instrumentenbauer steuert er bei „Eating Snow“ das analoge, menschliche Gefühl bei, das besonders durch seine bestimmte, aber dennoch stets fragil anmutenden Stimme unterstützt wird. Sein Partner in Crime, Douglas Greed aus Jena, zeichnet für die Rhythmussektion zuständig: Seine mal drückenden, mal sanft dahintreibenden Beats bauen ein starkes Fundament, welches er durch melancholisch-mäandernde Melodien in luftige Höhen verbaut. Mal klingen Eating Snow nach Indie-Pop für einen dunklen Herbstabend, mal möchte man bei den dezent an House erinnernden Beats durch den Regen tänzeln.

Das Album beginnt mit hölzernen Schlägen, langatmigen Gesangspassagen und einem Klavier, das wie Regen auf den Hörer fällt. „Over“ fasst das folgende Hörerlebnis bereits gut zusammen; verschachtelte Beats treffen auf weitflächige Klangfarben. Trotzdem unternimmt das Duo mit „The Cut“ unmittelbar nach dem Opener einen gefühlten Schnitt: Die Drums werden gradliniger, knarzige Lead-Synthesizer schneiden sich durch Moorycs gebrechliche Stimme, die dem Hörer spürbar nah kommt. Tanzen kann man dazu gut, wenn man möchte - leichte House-Anleihen sind hier durchaus gewollt. „Let You Down“ führt die Evolution von Eating Snow dann weiter, indem es feinsten Indie-Pop präsentiert. Dazu weichen die Elektro-Beats den wummernden und stark komprimierten Lo-Fi-Drums, und der mehrstimmige Gesang bringt Tiefe ins tonale Arrangement. Hier zeigt sich das Songwriting besonders von seiner entwaffnend ehrlichen Seite, wenn Mooryc singt: „I know I let you down / trust is a bold written noun / if I could be like that / you would know by now“. Mit dem nächsten Track „Mine“ bringen die Jungs die Musik in den Vordergrund. Das atmosphärische Instrumental-Stück bezeugt durch die fast depressiven Streicher und einem verloren wirkendem Klavier die Emotionalität hinter Greeds und Moorycs Schaffen. 

An diese reduzierte Aufmachung knüpft „Beauty Of Destruction“ an, das sich stark minimalisiert zeigt; fast klingt es ein bisschen nach Underground. „Gravel And Trees“ und zwei Interludes sorgen im weiterhin spärlich instrumentalisierten Gewand für eine dichte Atmosphäre, bis „Forever Is Gone By Now“ dann den grauen Himmel durchbricht. Geradezu poppig, aber nicht so süß wie CHVRCHES oder andere gängige Charts-Vertreter schlendert es durch das Herbstlaub. Dann tritt wieder Schwere ein: „The Emptiness Is Mine“ skizziert die Leere mit schweren, repetitiven Synth-Bass-Wellen und einem wie Kopfschmerz pochendem Beat. Moorycs modulierter Gesang wirkt wie ein Monolog in einem luftleeren Raum, der sich in einen Dialog mit sich selbst entwickelt. „Chameleon“ führt anschließend instrumental durch Melancholie und Nostalgie, das Klavier erinnert an Spieluhren aus Kindheitstagen. 

Plötzlich erscheint überraschend ein Highlight des Album: „Last Summer Day“ präsentiert genau diesen verloren geglaubten letzten Sommertag mit gezupften Gitarren und sanften Klavier-Kaskaden, und scheint damit Künstlern wie Simon & Garfunkel Tribut zu zollen. Auch hier trägt Mooryc mit seinem nunmehr bittersüßen Falsettgesang maßgeblich zu drei verträumten Minuten bei. Das Hörerlebnis damit zu beenden, wäre aber nicht im Sinne von Eating Snow: Das Finale des Albums „Siamese Twins By Choice“ schlägt einen anderen Weg ein und baut durch zittrige Arpeggios und unangenehmes Pochen in den Beats eine gewissen Anspannung auf - im Anbetracht der Lyrics ist dies durchaus angebracht: „[…] empty rooms and hallways / too much surpressed anger / bruises that won’t heal / too much cuts in silence / raw stiching, cracks and scars / we shared a shadow once / siamese twins by choice“. Der Song endet in wildem Getrommel und mehreren, durcheinander singenden Stimmen und hinterlässt den Hörer mit einer Art Nervosität, die ihn noch eine Weile begleiten wird - genauso wie das Album, das sich unweigerlich in seinem Kopf festsetzen wird.

Douglas Greed und Mooryc haben mit „Eating Snow“ ein kollaboratorisches Erstlingswerk geschaffen, das mehr Abwechslung bieten kann als so manche Musiker-Diskografie. Dass die beiden dabei zu einer Einheit verwachsen sind wie siamesische Wahlzwillinge, ist deutlich zu hören: Die Musiker haben ihren Stil weitestgehend beibehalten, ohne auf Experimentierfreudigkeit zu verzichten oder sich als Individuum in den Vordergrund zu stellen. Dort stehen nur die Gefühle, oder eher: das Gefühlte. (Sebastian Seifert | CampusFM)

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