Kendrick Lamar - Mr. Morale & The Big Steppers

Fünf Jahre lang war es still – geradezu gespenstisch still – um den vielleicht besten Rapper unserer Zeit. So still, dass sich viele gefragt haben, ob Kendrick Lamar überhaupt noch einmal zurückkommen würde. Um uns teilhaben zu lassen an den Gedanken des jungen Mannes, der im Stadtteil Compton von Los Angeles aufwuchs und die Erlebnisse seiner Jugend 2012 in ein so fesselndes Album verpackte, dass dieses heute noch die Hip-Hop-Welt bewegt. Der Mann, dessen 2015er Werk „To Pimp A Butterfly“ immer noch als Maßstab und Meilenstein für Hip-Hop-Alben angesehen wird. Und der mit seinem 2017 erschienenen Projekt „DAMN.“ als erster Rapper überhaupt einen Pulitzer-Preis gewann.

Nun ist Kendrick zurück. Und sein neues Album „Mr. Morale & The Big Steppers“ beantwortet zumindest in Teilen die Frage, was Kendrick dazu veranlasst hat, so eine lange Pause einzulegen. „Writer’s block for two years, nothin‘ moved me/ Asked God to speak through me, that’s what you hear now”, rappt er auf dem Song “Worldwide Steppers”. Wenn das so stimmt, dann Kompliment an Gott. Denn Kendrick scheint tatsächlich wieder zurück zu sein – musikalisch wie lyrisch. Und seine Songs sind vielleicht so persönlich wie nie.

Bereits im ersten Track “United in Grief” wird das deutlich. Kendrick erzählt vom Tod enger Freunde und Bekannter - Erfahrungen, die ihn aufgrund seines Hintergrunds seit seiner Kindheit immer wieder verfolgen. Begleitet wird das von abgehackten Klavierpassagen, bis wie aus dem Nichts ein unfassbar kräftiger Beat und eine Geige um die Ecke kommen. Man kommt sich vor wie bei der Exposition eines Theaterstücks. Ein Stück mit dem Fazit “Everybody Grieves Different” – jeder trauert auf seine Weise.

Trauer und die Bewältigung von Traumata sind zentrale Themen des Albums, das sich streckenweise anfühlt wie eine private Therapie-Session mit Kendrick und schonungslos die Laster des Menschen Kendrick Lamar offenlegt. Auf dem emotionalen „Mother I Sober“ erklärt er begleitet von Klavierpassagen und einer erschütternden Hook von Beth Gibbons, wie er durch seine Trauer und seine Kindheitstraumata eine Liebessucht entwickelte, wegen der ihn seine Partnerin Whitney Alford irgendwann verlassen musste.

Dieser Umstand erklärt auch, wie es zu dem vielleicht überraschendsten Track des Albums kam. Auf “We Cry Together” schreien sich Kendrick und eine Frau (hier ist es die Schauspielerin Taylour Paige) im Grunde genommen fünf Minuten lang an – bis sie irgendwann entscheiden, doch lieber Sex miteinander haben zu wollen. Abgesehen davon, dass die Authentizität der Konversation und die dunklen Klavierpassagen von “The Alchemist” das Lied trotzdem absolut genießbar halten, stellt Kendrick hier auch auf geniale Weise die hässliche und die schöne Seite der Liebe gegenüber.

Letzterer widmet Kendrick auf dem gesamten Album erstaunlich viel Zeit: Auf “Purple Hearts” singen er, Summer Walker und Ghostface Killah über das, was Liebe ihrer Meinung nach wirklich ausmacht – der Beat und das Instrumental sind fantastisch. Ähnliches lässt sich überden Song “Die Hard” mit Blxst und Amanda Reiffer sagen. Bei all der Dunkelheit lässt Kendrick sich immer noch ordentlich Raum für helle und leicht verdauliche Songs über die Liebe, seine eigenen Verdienste (“Rich Spirit”) oder den Einfluss seines Vaters (“Father Time”).  Nicht immer klappen diese leichter verdaulichen und textlich weniger tiefgründigen Tracks aber so gut: Beim Song “Silent Hill” etwa klingt Kendrick ein bisschen wie Playboi Carti auf Wish, und auch der etwas langweilige Beat schafft es dieses eine Mal nicht, den Song zu retten.

Zum Glück bleiben solche Schnitzer aber die Ausnahme. Denn der Rest des Albums ist wahnsinnig gut und inhaltlich tiefgehend. Und, was vielleicht noch viel wichtiger ist: Kendrick scheint am Ende doch mit sich selbst im Reinen zu sein. „Kendrick (…) is not your saviour“ stellt er im Intro des Tracks „Saviour“ klar. Das muss für ihn selbst etwas Befreiendes gehabt haben, schien doch genau das in seinen vergangenen Alben immer auch ein Anspruch an sich selbst zu sein. Noch deutlicher wird Kendrick dann auf dem Schlusstrack „Mirror“: „Sorry I didn’t save the world, my friend/ I was too busy buildin‘ mine again“ rappt er über kraftvolle Drums und eine wunderschöne Chord-Progression. Und singt im Refrain des selbigen: „I chose me, I’m sorry“.

Brauchst du nicht sein, Kendrick. Du hast uns wieder mal ein Meisterwerk geliefert.

 

Henning Middeldorf, eldoradio*

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