Cover: Marcus Wiebusch - Konfetti

Ein kurzer Rückblick: Wiebuschs "befindlichkeitsfixierter Aufstand" markierte damals die Wende. Vom textlich differenzierten Punk der Band "...but alive" hin zum smarten Kettcar'schen Indie-Pop, der statt Imperialismus-Analyse eher gebrochene Herzen und Balkone mit Bierflaschen-Biotop thematisierte, wobei er sich auch auf dem letzten Werk dem - bekannterweise nicht nur in Hamburg lokalisiertem - Phänomen der Gentrifizierung annahm. "Konfetti", das Solo-Debüt von Marcus Wiebusch, hat Anteile aller musikalischen Phasen.

Vor allem, was den stilistischen Bereich angeht: Wiebuschs Affinität zum Rap tritt sehr deutlich zutage; viele Stücke erinnern an seinen Gesangstil zur  "...but alive"-Zeit. Beim Electropop von "Jede Zeit hat ihre Pest" - das durchaus als Definitionsangebot in der bereits enervierenden Hipster-Diskussion gelesen werden könnte - zum Beispiel. Wiebusch rappt gegen ein Anders-Sein, dem keine Überzeugung zugrunde liegt, sondern welche das Anders-Sein als Selbstzweck verfolgt. "Sind alle gegen Banken, bin ich dafür", "spittet" Wiebusch, der E- und Akustikgitarre an vielen Passagen gegen Beat-Machine eingetauscht hat. Dieses tiefenpsychologische Aufdecken des Abhebungszwangs fand sich aber genau genommen auch schon auf Kettcars "Graceland" ("wenn alle nackt sind, wer ist dann der Rebel" oder auch "die Styler, die anders sein wollen, wollen malen nach Zahlen").

Sprechgesang findet sich dann auch im kämpferischen Siebenminüter "Der Tag wird kommen", der Homophobie in der Fussball-Kultur thematisiert. Ein Epos an Songwriting, für das Wiebusch nach eigener Angabe schon vor der Hitzlsperger-Diskussion lange recherchiert hat. Neben ganz viel Teamschweiß wird dann aber auch der Geschichtsphilosoph Hegel mit "Geschichte ist Fortschritt im Bewusstsein der Freiheit" zitiert. Fortschritt kann sich aber nur realisieren, wenn jeder den lieben kann, den er will - "und der Rest bleibt still." Im Refrain entwirft Wiebusch diesen utopischen Moment. Man fragt sich auf einmal, warum man sich diesem Thema popkulturell eigentlich so selten in Stücken angenommen hat. Wiebusch könnte einen Stein ins Rollen bringen und es gibt genug Textpassagen, die sein lyrisches Talent beweisen, auch wenn der Song für einige Gemüter sicherlich zu kämpferisch und pathetisch geraten sein dürfte.

Highlight ist das von Trompeten getragene "Nur einmal rächen", eine grinsende Pseudo-Biographie der heutigen Zuckerberg-Nerds, die früher belächelt worden sind und heute den großen Cash machen. Man beachte die Initialen der Wörter, zu denen Wiebusch den Hörer zum Mitsingen animiert. "Gib mir ein N", ein "E", ein "R", "ein D - D wie Diggah". Man kann sich mit dem lyrischen Ich identifizieren und doch spürt man: derjenige, der früher die Ellbogen in der Schulpause abgekriegt hat, ist heute eine Stütze des Ellbogensystems, die sich mit teuren Autos, dem teuersten Champagner der Stadt und hübschen Mädels rächt. Fast schon ein soziologischer Blick auf das Geschehen.

"Wir waren eine Gang" übt sich ebenfalls in distanzierter Retrospektive. Hier wird die Geschichte einer Jugendgruppe erzählt, die sich vor Urzeiten verpflichtete, den Status Quo zu bekämpfen und dem realitätsfernen "Hippieabschaum" den Kampf anzusagen. Doch heute ist man eben Staatsanwalt und verkauft Hedgefonds. Trotz harmonischer Klaviermelodie: das Lachen bleibt einem in solchen Sequenzen im Halse stecken. Im Falle des besagten Songs kommt man sich auch ein wenig an Kettcars "Am Tisch" erinnert, das ebenfalls zerbrochene Jugendträume anspricht, die jedoch dem konventionellen, bequemen Lebenstil gewichen sind.

Dazwischen stecken aber Momente hoffnungsvollen Indiepops, die auch musikalisch eher in der musikalischen Tradition Kettcars stehen. Der - doch arg kitschig geratene - Opener "Off" oder auch das gitarrenlastig euphorische "Das Böse besiegen" reihen sich da ein. Wiebusch ist ein abwechslungsreiches Album gelungen, das trotz kleiner Fehlpässe erneut beweist, dass man es mit einem der besten Texter hierzulande zu tun hat.( Philipp Kressmann, CT das Radio)

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