Verloren im monotonen Basslauf schwingen Synthiesounds über Klangflächen. Luke Abbotts Ambient-Minimal-Elektro ist experimentell, frickelig und unberechenbar. Die Teasertracks "Free Migration" und "Amphis", die Abbotts Label Border Community im Januar auf Soundcloud veröffentlichte, waren Vorboten für die Reise, auf die der Musiker aus Norwich den Hörer mitnimmt. Vier Jahre nach dem ersten Album "Holkham Drones" und als Gegenstück zu zahlreichen EPs erscheint diese Reise unter dem Titel "Wysing Forest". Benannt ist das Album nach dem Wysing Arts Centre in Cambridgeshire, das Abbott im Winter 2012 für sechs Wochen als Hausmusiker buchte. Es besteht aus Live-Aufnahmen dieser Zeit, die vor teils vor Publikum, teils in einem temporären Studio vor Ort aufgenommen wurden und in überarbeiteter Form nun ein amalgames Ganzes ergeben. Als Einflüsse nennt Abbott den spirituellen Jazz von Don Cherry und Alice Coltrane sowie den Komponisten Terry Riley. Auch die Abgelegenheit des Wysing Arts Centre und das resultierende Gefühl von Distanz zur Außenwelt hätten den Sound des Albums geprägt, sagt Abbott.
"Two Degrees" ist der langsame Beginn einer Soundreise durch Klänge, Bass und Gefrickel. Ambient wird bei Luke Abbott groß geschrieben. Letztendlich ist "Wysing Forest" ein einziger 52-minütiger Sphärentrip, der nur wegen der gängigen Konventionen in Songs aufgeteilt ist und am Besten an einem Stück gehört wird. Nur so kann man die Klangreise, die Luke Abbott mit seinen Live-Aufnahmen bestreitet, wirklich nachvollziehen. Das Album so zu strukturieren, dass es als Ganzes funktioniert, sei eine ziemliche Herausforderung gewesen, fast eine größere als die Musik selbst, sagt Abbott über die Genese seines Zweitlings.
Schon der zweite Track "Amphis" lässt sich zwölfeinhalb Minuten Zeit, um sein Ende bzw. den Übergang zum nachfolgenden "Unfurling" zu finden. Nach unruhigen Überlagerungen und einem gewissen Tongewirr kommt selbst der Bass gegen Ende zur Ruhe und schlägt nur noch vereinzelt aus. Die Synthesizer bäumen sich ein letztes Mal auf. Was bleibt, sind breite Klangflächen, die im nächsten Song abrupt durch eine Art Minimal-Techno auf Valium abgelöst werden. Der Songtitel "Unfurling" wird seiner an sich schon organischen Bedeutung und dem Klang des Wortes mehr als gerecht.
"Free Migration" und "Highrise" schrauben das Tempo etwas nach oben und arbeiten vor allem gegen die Ruhe der vorigen Tracks. Gerade letzterer Track zieht die Beatschraube deutlich an und wagt Ausflüge in minimal-housige Ecken der elektronischen Welt. Aber auch diese schnelleren Stücke werden behutsam in eingebettet in die Grundstruktur und den Tonus des Albums. Das auf "Highrise" folgende "Tree Spirit" steht mit seiner spirituellen, beschwörerischen Anmutung im starken Kontrast zu den zwei vorigen Tracks. Trotzdem schafft Luke Abbott einen Übergang, der auf eine etwas undurchsichtige Art und Weise Sinn macht. Später wird der Track durch brachiale Synthieschnalzer aufgeweckt, der wabernde Bass lässt sich davon aber nur kurz stören.
Nach dem ausgedehnten "The Balance of Power" drischt "Snippet" kurz vor Schluss in vergleichsweise einer Minute Störgeräusche und eine bedrohliche Ästhetik in die Hörgänge, bevor die Reprise des 12-minütigen "Amphis" wieder in ereignisarme und weite Sphären mitnimmt. Zum Schluss bleibt besagtes Gefühl von Verlorenheit und eine latente Unschlüssigkeit, was genau man da eigentlich in den letzten 50 Minuten erlebt hat. Dass "Highrise" und "Free Migration" die relative Gleichförmigkeit des Album aufbrechen, ist eine spannende Abwechslung und als Anhaltspunkt unerlässlich. Luke Abbotts Musik verlangt auf jeden Fall ein unkonventionelles Hörverhalten und Geduld mit einem Sound, der sich langsam entwickelt und manchmal auch einfach verhallt statt zu einem Höhepunkt zu finden. (Benedict Weskott, CT das radio)
RÜCKSCHAU
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