Cover: Dan Deacon - Gliss Riffer

Neues vom Beat-Brahms aus Baltimore: Nachdem sich Dan Deacon mit seinem 2007 erschienenen Album-Flaggschiff 'Spiderman Of The Rings' bereits in Top-Positionen diverser Rankings pushte, schmeißt der US-amerikanische Musiker erneut eine Platte mit großem Potential auf den Markt. 'Gliss Riffer', so der Titel des aktuellen Albums, verzaubert bereits beim ersten 'Play-Drücken'. Der sympathische Mittdreißiger, dessen ekstatische Live-Auftritte in der Menschenmasse ebenso charakteristisch wie sein voluminöser Bart sind, beschäftigt sich diesmal ganz mit sich selbst. Bei der Produktion seiner vorangegangenen Alben 'America' und 'Bromst' griff Deacon noch auf einen ganzen Musikerpool zurück und bastelte an Neo-Klassischen Stücken und elektronischer Filmmusik. Die musikalische Leitung übernahm der Künstler für den Horrorfilm 'Twixt'.

Mit 'Gliss Riffer' ist aus Dan Deacon kein neuer Musiker geworden! Vielmehr lässt er eine Weiterentwicklung seiner bisherigen Musik zu und gönnt seinem Publikum eine Verschnaufpause. Anders als bei 'America', das als unmittelbares Vorgänger-Album im Jahr 2012 erschien, ist Dan Deacons Musik allgemein verträglicher geworden und feuert nicht in einer Tour Beatpassagen durchs gesamte Album auf den Hörer ab. Doch auch zu 'Spiderman Of The Rings' gibt es gravierende Unterschiede: So verfällt der Künstler aus Baltimore mit seiner neuen Scheibe nicht nur nicht mehr in anhaltende Ekstase, sondern setzt auf liebevolle Details in seiner Musikgestaltung. 'Learning To Relax', so der Name eines Titels auf 'Gliss Riffer' könnte das aktuelle Leitmotiv sein. Eine Abkehr von alten Werten ist zwar nicht zu bemerken, dennoch gestaltet sich das aktuelle Album wesentlich poppiger als seine Vorgänger. Schon der Album-Opener 'Feel The Lightning' ist klar strukturiert und schafft durch die elektronisch-verschleierten Chords eine angenehme Atmosphäre, die durch eine sanfte Frauenstimme verstärkt wird. Allerdings täuscht Dan Deacon an dieser Stelle den Hörer: Es handelt sich hierbei eben nicht wirklich um eine weibliche Stimme, sondern um ihn selbst. 

Das Spiel von Aufnahme- und Abspielgeschwindigkeit ermöglicht nicht nur hier die facettenreichen Klangkonstrukte auf 'Gliss Riffer'. Das gesamte Album entstand in Eigenregie und wurde von Dan Deacon in mühevoller Kleinarbeit collagenartig zusammengefügt. Unaufgeregter Elektropop durchzieht 'Gliss Riffer' in der Gesamtheit und entfernt sich etwas vom Säkulum der bombastischen Live-Auftritte.

Eine Art 'back-to-the-roots' aus Sicht der Neo-Klassik versteckt sich auf 'Gliss Riffer' dann im zweiten des Albums. Insbesondere die beiden Closer 'Take It To The Max' und 'Steely Blues'- beide etwa siebeneinhalb Minuten lang - spiegeln Deacons Kompositionsleidenschaft wider. Hier lässt Dan Deacon seinen Songs genügend Raum für Entwicklung. Wie in einem klassischen Konzert steht der Künstler hier allerdings selbst in Position der sogenannten 'Solokadenz'; er stellt sein Können und sein Talent ähnlich eines Solo-Künstlers in einem Orchester zur Schau. Im Gegensatz zu den restlichen Songs auf der Platte, sind die Neo-Klassik-Ausreißer nachdenklicher und gemächlicher. Hier geht es nicht darum, einen exzessiven Beat mit Ohrwurm- und 'Abgeh'-Charakter in die Menge zu werfen, sondern sich bewusst mit den Elementarteilchen der Musik auseinanderzusetzen. Das ganze natürlich in alter Dan-Deacon-Manier auf elektronischer Basis. Synthie-Teppiche wabern in wirren Konstrukten dahin, kommen größtenteils 'a capella' aus und offenbaren ihre Strukturen erst beim zweiten Hören. 

So ist 'Gliss Riffer' kein Album für die Hintergrundbeschallung. Die sphärischen Klänge - insbesondere am Ende des Albums - fordern Ihre Zuhörer und möchten bei erster Betrachtung trotz ihres hohen kompositorischen Anspruchs nicht so recht in das Gesamtkonzept der Scheibe passen. Doch dieser Eindruck löst sich bei mehrmaligem Hören des Albums auf und die beiden Tracks bauen eine Brücke in Deacons Vergangenheit ohne dabei platt vergangene Alben zu rezitieren. 'Gliss Riffer' bildet somit einen Zyklus im musiktheoretischen Sinne des Dan Deacon, der sich 'con espressione' weiterentwickelt hat. 

Nicht nur die Tätigkeit der Musikproduktion beherrscht das Multitalent aus Baltimore augenscheinlich spielend, auch der Draht zur Musik geht dankenswerterweise nicht verloren, sodass 'Gliss Riffer' zu Dan Deacons bisher eigenständigstem und zugleich anspruchsvollstem Gesamtwerk wird. Ausgebildet wurde Deacon nebenbei bemerkt am Konservatorium der State University New York in den Fächern Komposition und Elektroakustik; ein Umstand der sich einmal mehr eindrucksvoll auf das neue Album ausgewirkt hat. (Julian Minor, CT das radio)

RÜCKSCHAU

KW 28/2024
KOKOKO! - BUTU
KOKOKO! BUTU
KW 16/2024
Girl in Red I´M DOING IT AGAIN BABY!
KW 35/2023
Slowdive Everything Is Alive
KW 34/2023
Genesis Owusu Struggler
KW 23/2023
Christine and the Queens ANGELS, PARANOÏA, TRUE LOVE

ARCHIV

WOCHE Künstler/Band NAME DES ALBUMS/SONGS MUSIKLABEL
KW 12/2015 Will Butler Policy Merge
KW 23/2018 Courtney Barnett Tell Me How You Really Feel Mom And Pop Music
KW 13/2015 Courtney Barnett Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit House Anxiety
KW 14/2015 Erfolg Erfolg Staatsakt
KW 16/2015 Leo Hört Rauschen. Modern Modern Broken Silence
KW 17/2015 Speedy Ortiz Foil Deer Carpark Records
KW 18/2015 Anatopia User Experience Snow White Recordings
KW 05/2018 Tocotronic Die Unendlichkeit Vertigo
KW 19/2015 Tocotronic Das rote Album Vertigo
KW 05/2022 Tocotronic Nie wieder Krieg UMD/ Vertigo Berlin