Cover: Shamir - Ratchet

 

Shamir weiß, wie er ein Album so starten lässt, dass es nach etwas ganz Großem klingt. Er beherrscht die Kunst, Abwechslung und die berühmte rote Linie so in zehn Tracks zu verpacken, dass die HörerInnen die Finger nicht mal in die Nähe der Stereoanlage bewegen, aber er verpasst auf „Ratchet“ einen großartigen Punkt zu setzen.

Mit „Vegas“ hat Shamir einen sehr persönlichen Opener für sein Debüt-Album gewählt. Der gerade 20-Jährige singt über seine Heimatstadt, beschreibt sie als den Ort wo Fantasie und Realität sich treffen. In werbendem Ton besingt er den Ort in dem du sündigen darfst, aber wir bekommen von Anfang an zu spüren, dass hier was nicht stimmt. Der Beat schleicht sich so seicht an, dass er uns ins Mark klettert, wir müssen mit, ohne dass wir es bemerken und schließlich spricht er es aus: „Du kannst in die Stadt der Sünde kommen und ohne Schaden wieder gehen, aber wenn du hier lebst, dann bist du längt in der Hölle!“. Das seichte Ausklingen des elektronischen Pop-Tracks macht klar: Das Thema ist nicht abgeschlossen. Und so zieht sich die Abrechnung des R'n'B-Talents Shamir mit seiner Heimat und all ihrer Erwartungen an ihn durch das gesamte Album.

Selten war tanzbare Disco-Musik so persönlich wie bei Shamir, der seine Einflüsse in frühester Kindheit aus seinem sehr musikalischen Haushalt mitgenommen hat. Er eröffnet uns Einblicke in seine Vorstellung von wilder Jugend und völliger Losgelöstheit, fordert in Ton und Text doch bitte mal mehr auszurasten, nächtliche Eskapaden zu zelebrieren und weiß dann trotzdem sich wieder runter zu holen – mit Gras und langsamen, leicht apokalyptischen Synthies in „Call It Off“. Spannend ist dabei immer wieder das Spiel mit der Geschlechterzuweisung. Shamir selbst weiß, dass seine Stimme gern als „androgyn“ bezeichnet wird und er suhlt sich darin: Mal lässt er sie wie die klare Engelsstimme einer Frau klingen, dann verzerrt er sie so, dass wir gar nicht mehr wissen, woran wir sind.

Der neue Sprössling von XL-Records hat keine Angst vor musikalischen Experimenten, zwar ist fast jeder Song auf „Ratchet“ tanzbar und enthält Steigerungen, die nach Vorne treiben, aber auch vor absoluter Ruhe macht Shamir nicht halt. Der Song „Darker“ ist ein kleines Kunstwerk der Reduziertheit geworden. Ohne jeden Beat sticht uns die nackte, zerbrechliche Stimme Shamirs ins Mark, traut sich kitschig zu sein und zu berühren. Der Song ist so stark, es hätte keinen zehnten auf „Ratchet“ gebraucht.
Und doch schiebt Shamir noch einen nach: „Head In The Clouds“ überrascht. Der Track ist ein nervenzehrender, langweiliger Pop-Song auf monotonen Keys mit vorhersehbarer Steigerung und wenig innovativen Breaks. Hoffentlich nur ein Anhängsel und keine Idee, in welche Richtung es mit Shamir noch gehen könnte. (np)

RÜCKSCHAU

KW 28/2024
KOKOKO! - BUTU
KOKOKO! BUTU
KW 16/2024
Girl in Red I´M DOING IT AGAIN BABY!
KW 35/2023
Slowdive Everything Is Alive
KW 34/2023
Genesis Owusu Struggler
KW 23/2023
Christine and the Queens ANGELS, PARANOÏA, TRUE LOVE

ARCHIV

WOCHE Künstler/Band NAME DES ALBUMS/SONGS MUSIKLABEL
KW 39/2015 Eating Snow Eating Snow Freude Am Tanzen
KW 41/2015 The World is A Beautiful Place & I am No Longer Afraid To Die Harmlessness Epitaph
KW 42/2015 Wavves V Warner
KW 48/2016 Hyphen Hyphen Times Warner
KW 43/2018 Lambert & Dekker We Share Phenomena Warner
KW 20/2018 Janelle Monae Dirty Computer Warner
KW 43/2015 Here We Go Magic Be Small Secretly Canadian
KW 06/2019 Cherry Glazerr Stuffed and Ready Secretly Canadian
KW 35/2018 Joey Dosik Inside Voice Secretly Canadian
KW 44/2015 Beach Slang The Things We Do To Find People Who Feel Like Us Big Scary Monsters