Synthesizer und Natur scheinen rein intuitiv gesehen erst einmal polare Gegensätze zu sein. Auf der einen Seite Kabel, Hüllkurven und beats per minute, auf der anderen Seite endlose Wälder, unruhige See und schneebedeckte Berge. Und doch ist beides nichts so weit voneinander entfernt, wie es scheint. Denn so gegensätzlich Natur und Technik als Vehikel für elektronische Musik vom reinen Anblick her sein mögen: Das hörbare Ergebnis ihres Aufeinandertreffens ist ein wahres Erlebnis.
Christian Löffler stellt sich - nicht nur metaphorisch - mit all seiner Technik mitten in die Landschaft, die er vertont. Sein neues, zweites Album Mare entstand in unmittelbarer Nähe der Ostsee auf dem Darß, ganz alleine mit der Natur auf der Terrasse einer kleinen Hütte. Dementsprechend ruhig und elegisch ist der Grundtonus, auch wenn die Leadsingle Wilderness vom Namen her zuerst anderes vermuten lassen könnte. MOHNA, die auch ihrer Band Me Succeeds ihre markant gehauchte Stimme leiht, ist nicht nur hier, sondern auch auf drei weiteren Tracks (Mare, Vind, Haul) vertreten.
Auch Christian Löffler selbst hat für sein Album Vocals eingesungen, die in oft unverständlich gehauchtem Englisch die Tracks Nil, Pacific und Lid begleiten. Letzterer ist das der atmosphärische Höhepunkt der insgesamt 74-minütigen Klangreise vorbei an schroffen Küsten und über sacht wogende Ozeane. Nach einem düsteren Intro durch die Uferböschung leitet der Track mit Streicherarrangements, zurückhaltendem Beat und besagten Vocals hinaus aufs offene Meer. Die Weite dieses Ambient Deep House und auch sein unverblümter Pathos sind sicherlich Geschmackssache, aber es ist einen Versuch wert.
Nicht zuletzt durch die Gesangpartien erhält Mare mitunter fast Song-ähnliche Strukturen. Das Album atmet den Sound von Kiasmos, Bonobo, Ólafur Arnalds, Federico Albanese und Jon Hopkins, außerdem verwendet Löffler Klänge aus den Wäldern des Darß. Mal treibt die Musik bei Neo durch die Beatzahl, den eindrücklichen Bass und endlose Loops mit Nachdruck in den Gehörgang, dann wieder reichen zweieinhalb pianoschwangere Minuten Neoklassik bei Youth oder Pigment, um den Kopf weiter fortzutragen.
Bei aller Extensivierung und Vielseitigkeit des Klangs kann Christian Löffler zumindest eines angelastet werden: Die esotherischen Harmonien und vor allem die Trackprogression sind auf Mare durchweg absolut vorhersehbar. Womöglich wird erst durch diese immer wieder bestätigten Erwartungen an den Verlauf der Tracks ein wirkliches Verlorengehen im Klang ermöglicht - besonders spannend ist das Album dadurch aber nicht. Doch auch wenn Christian Löffler das Rad des "kontemplativen House" mit Mare nicht neu erfindet: Es ist und bleibt ein weiteres, magisches Stück Musik, das Hochgefühl und melancholische Kontemplation, Ambient und Deep House, Field Recordings, klassische Instrumentierungen und Gesangpartien zu einem makellos Sound zusammenbringt.
Benedict Weskott (CT das radio)
RÜCKSCHAU
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