Cover: Ibeyi - Ibeyi

Ibeyi machen es Musikjournalisten wirklich einfach. Zumindest, was die Informationsdichte angeht. Die französisch-kubanischen Zwillinge Lisa-Kaindé und Naomi Diáz haben eine derart interessante Biografie, dass sich allein damit schon Seiten füllen lassen. Zudem ist aber auch ihre Musik und deren Genese bemerkenswert, nicht ohne Grund wurden die 20-jährigen Musikerinnen bereits lange vor der nahenden Veröffentlichung ihres selbstbetitelten Debütalbums in sämtlichen namhaften Musikmagazinen und sogar in der New York Times mit Artikeln bedacht.

Bereits ihre Abstammung verheißt Großes: Als Töchter der kubanischen Percussion-Legende Miguel "Angá" Díaz, Mitglied des Bueno Vista Social Clubs und anderer namhafter Ensembles, ist ihnen die Musikalität und Improvisationskunst direkt in die Wiege gelegt worden. Naomi ist für die Rhythmik zuständig und folgt so direkt auf den Pfaden ihres 2006 verstorbenen Vaters, wenn sie mit Cajón und Batá die Musik zum Leben erweckt. Lisa-Kaindé ist eher klassisch am Piano unterwegs. Die Stimme lassen beide Schwestern sprechen, mal in wunderschönen Melodien und mal in Sprechgesängen oder kanonischen Passagen.

Was Ibeyi auf ihrem Debütalbum hervorzaubern, ist ein bestechender Mix aus traditioneller, westafrikanischer Musik und maximal kontemporären Einflüssen. Ihre familiären und musikalischen Wurzeln haben Lisa-Kaindé und Naomi im Volk der Yoruba, deren rhythmische Percussions und Chants in der Popmusik bisher wohl selten zu hören, aber durch Angá Diáz Teil von Ibeyis musikalischer Sozialisation waren. Auch der Bandname ist der Sprache der Yoruba entlehnt und bedeutet ganz einfach "Zwillinge". Inspiration aus der aktuellen Musikwelt holen sie sich im Post-R’n’B und Hip-Hop von Künstlern wie Frank Ocean und James Blake oder auch bei King Krule und bilden daraus die oftmals sehr elektronisch angehauchte Grundlage ihrer Songs. In der Verschmelzung dieser auf den ersten Blick schwer zu vereinbarenden Punkte im musikalischen Koordinatensystem besteht das Alleinstellungsmerkmal von Ibeyis Musik.

Schon der Albumopener beschwört die Stimmung herauf, die sich als roter Faden durch die restlichen Songs zieht, ohne dabei jedoch in Reinform allgegenwärtig zu sein. Viel eher werden die emphatischen Gesänge durch den Computer geschickt und beispielsweise in "Oya" oder "Faithful" als Instrumentierung verwendet. Die beeindruckende Vielseitigkeit dieser Musik erinnert fast schon an die Experimentierfreudigkeit von Alt-J, die ähnlich viele Elemente miteinander verbinden, dabei allerdings dem Englischen treu bleiben. Ibeyi hingegen wechseln konstant zwischen Englisch, Yoruba, Französisch und beizeiten auch Spanisch hin und her. Soundelemente und Rhythmen kommen und gehen, ähnlich ephemer mutet das Video zur ersten Single "Ghosts" an.

"Carry away my old leaves, let my baptize myself with the help of your water. Sink my pains and complains, let the river sink them, river drown them", heißt es im Song "River", der gemeinsam mit "Oya" bereits auf der letztjährigen EP des Duos Furore machte. Altes gehen lassen, alles neu machen. Nach den Ausklingen der Chants von "Ghosts" setzt der Song zu einem wunderbar minimalistischen Beat an, der dem ganzen Lied seinen Stempel aufdrückt. Ähnlich auch "Think of You", das etwas mehr Attitüde wagt. Aber auch Melodien kommen auf "Ibeyi" nicht zu kurz, "Behind the Curtain" überlässt Lisa-Kaindé am Piano die Bühne. In "Mama Says" verarbeiten die Zwillinge auf eindrückliche Weise der Tod ihres Vaters und die resultierte Verzweiflung ihrer Mutter, die heute ihre Töchter managt und bei Konzerten als größter Fan in der ersten Reihe sitzt.

An neuen Fans wird es Ibeyi nach Release ihres Albums sicherlich nicht mangeln. Was hier in 45 Minuten an musikalischer Bandbreite, Gefühlstiefe und Eindringlichkeit geboten wird, setzt einen mehr als hohen Standard für den Rest des Jahres. Papa Diáz wäre stolz auf seine Töchter. (Benedict Weskott, CT das radio)

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