Zehn Jahre nach der viel zu wenig beachteten Hymne Am gleichen Meer starten Schrottgrenze in eine neue Ära. Dass sie dabei an vielen Stellen explizit auf Themen fokussieren, die queere und andere marginalisierte Menschen tagtäglich beschäftigen, war Sänger Alex Tsitsigias besonders wichtig.
„Das Album richtet sich an Leute, die sich unsichtbar fühlen und auf der Platte dann wiederfinden“, sagt er. Oft genug werden sie in der Musik nämlich lediglich mitgedacht - wenn überhaupt. Und Glitzer auf Beton „richtet sich auch an Leute, die Vorurteile und keinen Bock aufs Thema haben.“ Zu viert schwelgen Schrottgrenze in Erinnerungen (Zeitmaschinen, Christiane), fühlen mit den Vorstadtmenschen (Dulsberg), spenden Trost (Schlaf die Schmerzen weg) und rufen ihre Utopien mit gereckter Faust in die Welt hinaus (Glitzer auf Beton, Sterne, Lashes to Lashes).
Sterne hat in dieser Richtung als Vorabsingle schon alles richtig gemacht: Maximaler Ohrwurmfaktor, ein wunderschönes Video in der Dusche und dazu ein Text, der durchaus komplexe Zusammenhänge herunterbricht. Schrottgrenze stellen sich gegen Abneigung und Hass, „weil Ignoranz Gewalt ist und weil es immer noch Schutzräume braucht“; werfen konservative Geschlechterbilder über Bord, „weil Geschlechter konstruiert sind und wir sie nicht leben müssen“; stehen für freie Liebe und Sexualität ein, „weil Liebe so schön bunt ist und Sex auch so sehr“. Zum Schluss kommen die Hamburger in Großbuchstaben zu einem ermutigenden Fazit: „Das ist für alle Sterne, die heut' Nacht da draußen sind: Lieb' doch einfach, wen du willst!“
Dabei wird an Pathos, Rouge und Glitzer nicht gespart. In den kurzen, knackigen Indierock-Pop-Songs kommen Schrottgrenze ohne Umwege auf den Punkt, die Drei-Minuten-Marke könnten sie aber gerne öfter knacken könnten. Die ersten vier Songs des Albums enden selbst nach mehrmaligem Hören immer noch überraschend schnell und unvermittelt. Aber auch diese Vehemenz ist Teil der Grundidee. Alex Tsitsigias brauchte lange, genau genommen 15 Jahre, um zu sich selbst zu finden, und deshalb drückt er mit seiner Band jetzt richtig auf die Tube. „Wirf den Motor an, wir fahren raus ins Queer Love Country!“, heißt es im Opener Glitzer auf Beton, der nicht weniger sein soll als ein Türöffner. Denn die Zweifel und das Verstecken ist ein für alle Mal vorbei („viel zu lange hatten wir Angst um uns selbst“).
Dabei klingen Schrottgrenze wie damals in den 00er Jahren, als Virginia Jetzt! einen ganzen Sommer besangen. Das Songwriting wirkt deshalb in manchen Liedern ziemlich konventionell und eintönig (Halbfrei, Januar Boy*, Seit Gestern), spätestens im dritten Durchgang entpuppt sich aber ein Song nach dem anderen als hartnäckiger Ohrwurm. Und auch textlich werden die recht kitschigen Hauptaussagen durch viele schöne Bilder ergänzt, die zum Beispiel auf das Geschlechterspektrum verweisen („Cis ist nur ein Ton von vielen und sie wollte schon immer das ganze Griffbrett spielen“ (Dulsberg), „Einmal queer durch's Universum“ (Januar Boy*). Glitzer auf Beton ist ein Album, das den Indierock nicht neu erfindet, mit seiner queeren Thematik und den schönen Texten aber lange im Kopf bleiben wird. (Benedict Weskott, CT das radio)
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Der Silberling der Woche ist eine Kooperation der Campusradios
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Daher findet ihr hier jede Woche eine Rezension zu einem besonders interessanten Album, wechselweise von den Musikredaktionen dieser drei Campusradios verfasst.
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RÜCKSCHAU
ARCHIV
WOCHE | Künstler/Band | NAME DES ALBUMS/SONGS | MUSIKLABEL |
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KW 18/2014 | Fatima Al Qadiri | Asiatisch | Hyper Dub |
KW 19/2014 | tUnE-yArDs | Nikki Nack | 4AD |