Cover: Titus Andronicus - The Most Lamentable Tragedy

Schon etliche Bands sind daran gescheitert, den ganz großen Erfolg ihrer Karriere wie auf dem Reißbrett wiederholen zu wollen. Titus Andronicus wagen sich jetzt dennoch an eine Quasi-Fortsetzung zu ihrem Meisterwerk „The Monitor“. Nachdem dessen Nachfolger „Local Business“ eher zwiespältig aufgenommen wurde, ist wieder die Zeit für große Gesten, herzzerreißende Stories und extreme Stimmungsschwankungen gekommen. Der Fokus geht im Vergleich zu „The Monitor“, das sich am Amerikanischen Bürgerkrieg orientiert, einen Schritt weg von der ganz großen Thematik und liegt nun auf einem einzigen Charakter und dessen nicht weniger wechselhaftem Schicksal. Die simple Story hält Titus Andronicus aber nicht davon ab, dick aufzutragen – im Gegenteil.

Seien es der größenwahnsinnige Albumtitel „The Most Lamentable Tragedy“, Songtitel, die an frühere Großtaten erinnern („No Future Part IV“, „More Perfect Union“), oder die Schallmauer von 100 Minuten Spielzeit, die fast gerissen wird: Der Anspruch, den die Mannen aus New Jersey an sich stellen, könnte größer nicht sein. Unter diesen Vorzeichen ist es wenig überraschend, dass „The Most Lamentable Tragedy“ in erster Linie eine fast schon klassische Rock-Oper geworden ist. Von allen Veröffentlichungen in den letzten fünf Jahren vielleicht am besten mit Fucked Ups „David Comes To Life“ vergleichbar, landet der Protagonist auch hier auf einer Achterbahn der Gefühle, erfährt seelische und körperliche Schmerzen en masse und kommt trotz größter Anstrengungen seinem Ziel nur sehr mühsam näher. Euphorie, Kampfgeist, Resignation und in der Kombination viel Galgenhumor schwirren im stetigen Auf und Ab durch das Album.

Musikalisch ist es der Band gelungen, diese Variablen breiter als in der Vergangenheit abzubilden. Der Zehnminüter „More Perfect Union“ wildert erfolgreich in Progressiv-Rock-Gefilden, auch ansonsten lässt sich die Band häufig treiben und schafft dankbar angenommene Verschnaufpausen zwischen den natürlich immer noch schweißtreibenden Gitarren, bohrenden Drums und nicht zuletzt Patrick Stickles‘ durchdringendem Gesang. Doch trotz dieses Schrittes nach vorne werden sich Titus Andronicus auch hier von mancher Seite den Kommentar gefallen lassen müssen, hinter der mächtigen, mit viel Aufwand konstruierten Fassade stecke im Grunde nichts anderes, als gewöhnlicher Kneipenrock.

Und tatsächlich ist das gerade an vermeintlichen Schlüsselstellen nicht zu leugnen. „Come On, Siobhán“,  in dem sich der Protagonist nach einer Phase der tiefen Verzweiflung wieder ein Stück Hoffnung zurückzuholen versucht und das mit wehenden Fahnen in der Untergang sprintende „Fatal Flow“ sind nur zwei Beispiele dafür, dass Simplizität eben nicht nur um ihrer selbst Willen - ein paar schnelle Punk-Songs schaden schließlich nie - existiert. Eher dient sie im Kosmos des Albums zur Entwicklung des Protagonisten bzw. des Dramas als Ganzem. Ein bewährtes Mittel, das bis in die Anfänge dieser Erzählform zurückreicht: Auch in Tragödien wie ‚Antigone‘ oder ‚ Ödipus‘ finden sich nicht nur abgehoben göttliche, sondern auch schmerzhaft archaische Elemente wieder. In diesem Sinne werden sogar die einfachsten Akkorde zum Bestandteil großer Kunst. (fls)

RÜCKSCHAU

KW 28/2024
KOKOKO! - BUTU
KOKOKO! BUTU
KW 16/2024
Girl in Red I´M DOING IT AGAIN BABY!
KW 35/2023
Slowdive Everything Is Alive
KW 34/2023
Genesis Owusu Struggler
KW 23/2023
Christine and the Queens ANGELS, PARANOÏA, TRUE LOVE

ARCHIV

WOCHE Künstler/Band NAME DES ALBUMS/SONGS MUSIKLABEL
KW 47/2017 Sampa The Great The Birds and the Bee9 BIgdada
KW 48/2017 Spinning Coin Permo Geographic
KW 51/2017 Secret Shine There Is Only Now Saint Marie Records
KW 03/2018 Jeff Rosenstock POST- Quote Unquote Records
KW 12/2018 Gengahr Where Wildness Grows Transgressive Records
KW 28/2024 KOKOKO! BUTU Transgressive Records
KW 27/2018 Let’s Eat Grandma I’m All Ears Transgressive Records
KW 13/2018 Jo Goes Hunting Come, Future Backseat
KW 15/2018 Frankie Cosmos Vessel Subpop
KW 16/2018 Altin Gün On Bongo Joe