Beyoncé hat es getan, Drake und Kendrick Lamar ebenfalls, Rihanna und Radiohead auch. Und jetzt Devonté Hynes alias Blood Orange. Surprise Releases sind das neue aufregende Ding in der Musikwelt, bringen sie doch ein Stück Unvorhersehbarkeit in dieses sonst so durchgetaktete und weit im Voraus vorankündigende Business.
Mit Freetown Sound schließt sich Hynes der Riege prominenter afroamerikanischer Künstlerinnen und Künstler an, die den immer schärfer ausgetragenen Rassismus in den Vereinigten Staaten auf ihre jeweils eigene, teils sehr persönliche Weise thematisieren. Geografischer Ausgangspunkt für das Album ist aber weder Devonté Hynes Wahlheimat New York noch die USA als Ganzes, sondern Freetown, die Hauptstadt von Sierra Leone. Hynes‘ Vater wurde hier geboren, die Mutter stammt aus Guyana. Seine von Migrationserfahrungen und -erzählungen geprägte Biografie findet auf Freetown Sound exponiert Ausdruck. Dazu kommen bei Blood Orange Fragen nach Geschlechterbildern, Sexismus und Religion.
Statt die Themen mit einer durchaus zu erwartenden Schärfe und nachvollziehbaren Vehemenz plakativ zu kritisieren, lassen in erster Linie die Field Recordings, Radiomitschnitte und andere Aufnahmen Nachdruck und Entschlossenheit verspüren. Diesen nicht-musikalischen Versatzstücken ist auch die Konzeptalbum-Anmutung von Freetown Sound geschuldet. Die Musik groovet sich währenddessen lässig und unbeeindruckt durch 17 Songs, die jeder für sich eine ansteckende Mischung aus Soul, R’n’B und 80er-Pop zusammenbringen und aufs erste Hören wenig Politisches vermuten lassen.
Augustine ist mit den Spoken-Word-Strophen und dem ätherischen Refrain musikalisch ein sich tief verneigendes Michael-Jackson-Tribut, wobei der Anfang eher an avantgardistische Acts wie Easter erinnert. Neo-R’n’B in allerhöchster Güte. Die sexy gehauchten Vocals bei E.V.P sind fast schon eine Portion zu viel des Guten, aber ins Gesamtbild passt der Song bestens. Auch Prince scheint hin und wieder durch die Songs hindurch, bei But You glitzert er durch einen lichtdurchfluteten, weißen Raum mit wehenden Chiffonvorhängen. Das klingt natürlich unglaublich esoterisch und ist nun wirklich Geschmackssache. Aber wer Blood Orange einschaltet, tut es womöglich aus genau diesem Grund.
Während Beyoncés Lemonade oder Kendrick Lamars To Pimp A Butterfly wenig kryptisch und unterschwellig auch musikalisch unmittelbar die Wut im Bauch artiklulierten, sorgt die andere Herangehensweise bei Blood Orange immer wieder für Brüche in der Stimmung und Überraschungsmomente. Wer zum Beispiel bei Hands Up richtig hinhört, entdeckt im flauschigen 80er-R&B Bedrückendes. „Are you sleeping with the lights on baby? / Hands up, get up, hands up, get up / Keep your hood off when you're walking cause they / Hands up, get up, hands up, get up“, heißt es im Refrain des Songs, der in Aufnahmen einer Black-Lives-Matter-Demonstration mündet: „Don’t shoot! Don’t shoot!“ Weg ist der Flausch, hallo Gänsehaut.
Nach dem Closer-Reprise-Song Better Numb ist der Smoothnessbedarf in jedem Fall für absehbare Zeit gedeckt. Und das ist nicht zynisch gemeint. In Sachen R’n’B, ob nun „neo“ oder nicht, kommt an Blood Orange niemand vorbei. Wenn jetzt durch Freetown Sound auch noch politische Statements und damit tagesaktuelle Relevanz dazukommen, gilt das nur umso mehr.
(Benedict Weskott | CT das radio)
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