Cover: Die Wilde Jagd

Der Salon des Amateurs in Düsseldorf ist das Wohnzimmer all derer, die den experimentellen Klängen des Krautrock verfallen sind. Seit 2004 sagen sich Kunst und Disco Gute Nacht im Club/Bar-Hybriden der Düsseldorfer Kunsthalle. So ist es nicht verwunderlich, dass sich an diesem Ort regelmäßig ein beachtliches Portfolio an Künstlern und Musikern bei einem Drink zum Plausch trifft. Neben Bands wie Kreidler, Hauschka und Stabil Elite haben sich auch der Düsseldorfer Ralf Beck und der Berliner Sebastian Lee Philipp im Salon kennengelernt und starten kurze Zeit später ihr gemeinsames Projekt Die Wilde Jagd.

Schon der Bandname ist eine bezeichnende Darstellung der dunklen, mystischen und teils bedrohlichen Klänge die das Kollektiv hervorbringt. Laut einem uralten germanischen Volksmythos bezeichnet die wilde Jagd Erscheinungen am Nachthimmel, die jedes Jahr zur Zeit des Jahreswechsels während der Wintersonnwende beobachtet werden können. Das Himmelsbild besteht in diesen rauen Nächten aus einem johlenden, polternden und unheilverkündendem Geisterzug direkt aus dem Reich der Toten. Die Jagdteilnehmer sind Männer Frauen und Kinder, die allesamt an einem gewaltsamen oder grausamen Tod gestorben sind.

Die Geisterjagd vertonten Becks und Philipps mit einer großen Auswahl aus Becks Sammlung analoger Synthesizer, von wegen Digital ist besser! Auf Burg Wallenstein fällt der Startschuss zum Jagdspektakel. Mit rasselnden Percussions und repetitiven Synthesizer Klängen fordert „Wah Wah Wallenstein“ die Jäger dazu auf, ihre Pferde zu satteln. Unter zuckenden Lichtern und dröhnenden Bässen werden die Tiere angetrieben und das Jagdhorn geblasen. Schon in diesem aufrührenden Opener, stellt das Duo seine musikalische Bildgewalt unter Beweis, denn auch ohne Texte zeichnet Die Wilde Jagd vielschichtige Bilder zu ihren Geschichten.

„Austerlitz“ beispielsweise scheint sich anfangs in einer modrigen Tropfsteinhöhle zu verlieren, aus der Die Wilde Jagd mithilfe psychedelischer Panflötenteppiche jedoch schnellstens wieder in die Lüfte hinaufsteigt und die Fährte des „Torpedovogel(s)“ aufnimmt. Wer genau hinhört, findet den Kuckuck, der auf pulsierenden Dub-Beat Wogen unterwegs ist, die stürmisch, krude und ein wenig bedrohlich wirken. Diese Tier-Thematik ist ein wesentlicher Bestandteil des Albums, auditiv und visuell, denn das Cover ziert ein Gürteltier, das auf einer Trommel steht. Eine Kombination die so auch im Düsseldorfer Uhrwald Orange Studio von Produzent Ralf Beck zu finden ist.

Die komplexen Strukturen des tiefschwarzen Stücks „Durch Dunkle Tannen“ werden durch makabren Sprechgesang erweitert, der die Geschichte zu DAFs „Der Räuber und der Prinz“ mittels gespenstisch beschwörenden Reimen aufgreift und neu erzählt. Text und Stimme kommen in diesem Track übrigens vom Kreidler Mitglied Detlef Weinrich. Entstanden ist der Text, wie könnte es auch anders sein, an einem Abend im Salon, niedergeschrieben auf einem Bierdeckel. Für die geisterhafte Liebesgeschichte in „Morgenrot“ („Alles will ich mit dir teilen / Löwenzahn und Eisenhut / Zwischen ihnen wollen wir bleiben / bis zum nächsten Morgenrot“) und den abschließenden, paralysierenden Track „Der Meister“ nahm Hörspiel- und Theaterkomponist Sebastian Lee Philipp die Feder und das Mikrofon selbst in die Hand.

Dieses grandiose Debüt erzählt wundersame Geschichten, die in imposanten musikalischen Bildern übermittelt werden. Mancher Maler kann sich mit Pinsel und Leinwand nicht besser ausdrücken als Beck und Philipp es mit ihrem Haufen von analogen Synthesizern schaffen. Das ganze Album ist wie ein auditiver Spielfilm. In atemberaubendem Tempo wird eine Szene von der nächsten gejagt. (Julia Seegers | CT das radio)

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