Einfach Mensch sein - Ivo Martin im FZW
Aufgeregte Stimmen hallen durch das FZW. Die Menschen stehen in Grüppchen zusammen, reden miteinander. Zwischendurch wird immer mal wieder ein erwartungsvoller Blick auf die Bühne geworfen. Die Stimmung ist entspannt und irgendwie auch willkommen. So als wären sich alle darüber einig, diesen Abend einfach zusammen zu genießen und sich fallen zu lassen in die Atmosphäre des Konzerts. Es sind nur noch wenige Minuten, bis Ivo Martin auf die Bühne kommen soll. Manche haben einige Stunden vor dem FZW gewartet, um in eine der vorderen Reihen zu gelangen. „Ich finde seine Musik sehr gut. Er schreibt sehr berührende und tiefgründige Texte und die Musik bewegt mich auch sehr“, erzählt ein Mädchen. Sie hat sich an diesem Abend Anfang September mit ihrer Freundin auf dem Weg zu dem Konzert gemacht hat, um Ivo Martin zu sehen. „Ich freue mich einfach sehr darauf, den Abend mit ihm zusammen zu verbringen. Und seinen Liedern“, erzählt eine andere. Der 21-jährige Indie-Pop Künstler startet an diesem Abend in seine Sonnenuntergang-Tour, die ihn als erstes hierhin, in die Innenstadt von Dortmund führt.
Dann, nach einer gefühlten Ewigkeit des Wartens in der schwülen Hitze des Abends gehen die Lichter aus. Die Stimmen um uns herum werden lauter, Rufe und Applaus ertönen. Als die ersten Töne ertönen, wird der Applaus lauter, viele fangen sofort an, die Lyrics mitzusingen. Ivo startet direkt mit einem ziemlichen banger in den Abend. „Tanz“ ist ein lockeres und leichtes Lied, das einem sofort gute Laune macht. „Baby bitte tanz tanz tanz tanz“, singt Ivo in dem Refrain des Liedes, das bereits als Singleauskopplung seines Debütalbums „Puls“ erschienen ist. Und wie es die Lyrics schon verraten, tanzen wir auch. Alle im Raum, obwohl die Luft im Raum ziemlich erdrückend ist. Stören tut das aber niemanden, alle bewegen sich zu der Musik oder singen laut mit.
„Ich hatte euch auf Instagram gefragt“, beginnt Ivo in einer kurzen Pause, „welche drei Worte ihr mit Dortmund in Verbindung bringt. Daraus habe ich jetzt ein bisschen was gebastelt.“ Es ist nicht das erste Mal, dass Ivo Social Media als Inspiration für seine Texte nutzt. Vor allem über TikTok werden ihm von der Community immer wieder Schlagwörter zugesendet – daraus entstehen dann seine Geschichten, die Lieder. Ivo hängt sich seine Gitarre um und beginnt dann, einige Akkorde zu spiele. Dazu singt er dann die offensichtlich in den letzten Tagen gedichteten Textzeilen dazu. Schnell wird klar, welche drei Wörter gemeint sind: Natürlich findet das Dortmunder U seinen Platz in dem „Song“, genauso wie die Westfalenhallen. Mit bewundernswertem Elan beendet Ivo das ganze schließlich mit der Textzeile „Und deutscher Meister wird nur der BVB“. Klar.
Auch Ivo scheint den schwülen und warmen Abend zu spüren. „Dortmund, mir tränen wirklich gerade die Augen von dem ganzen Schweiß in meinem Gesicht“, beichtet er zwischen zwei Liedern und hat damit die Lacher auf seiner Seite. Ich kann nur zustimmend nicken. Zu mehr bin ich, aufgrund der etwas lähmenden Wärme, nicht in der Lage. Doch auch die schwüle Wärme kann an diesem Abend nicht von vielen Tanzeinlagen und Auf-und-Ab-Gehüpfe abhalten. Besonders das Lied ChatGPT, welches der Sänger mit BUNT. produziert und veröffentlicht hatte, sorgt für Tanzlaune. Der Upbeat-Song macht Spaß, der Takt ist schnell und irgendwie beginnt man einfach automatisch, sich dazu zu bewegen. Trotzdem kann der Sänger auch mit bewegenden und tiefgreifenden Texten überzeugen. Das zeigt er unter anderem mit dem Lied „Nicht allein“. Ein eher traurigeres und ruhigeres Lied, das aber zeigt, dass Ivo auch Gefühle gut beschreiben kann. Es behandelt die Angst, nicht genug für andere zu sein und allein gelassen zu werden und spricht mir an vielen Tagen ziemlich aus der Seele.
Die Fans sorgen an diesem Abend auch für einige kreative Fan-Aktionen. Während Ivo das Lied „Rosarot“ spielt, klemmen viele rosafarbene und rote Papierschnipsel vor ihre Handylampen. Und bei dem Song „Verliebt“ halten einige der Fans in den ersten Reihen Herzen aus Pappe in der Hand. „Verliebt“ ist der erste Song, den Ivo offiziell veröffentlicht. Der Sänger behandelt darin die schiere Sprachlosigkeit, die man empfindet, wenn man jemanden mag. Irgendwie fasst er das Gefühl vom Verliebtsein mit diesem Lied ziemlich gut zusammen. Der Song hat einen eingängigen Beat, er bleibt einem im Ohr. Auch der Song „Küss mich“ sorgt bei den Fans für viel Begeisterung. Es ist wahrscheinlich einer der bekanntesten Songs von Ivo Martin, was auch TikTok zu verdanken ist. Ein Mädchen vor mir in der Reihe macht sogar einen kleinen Freudentanz. „Küss mich“ ist ein zuckersüßer Song, vielleicht ein klein wenig zu kitschig für meinen Geschmack. Er gibt einem aber dennoch alles, was man sich von einem gefühlvollen Song wünscht. Und was Ivo mit diesem Song auch beweist – er kann singen. Und zwar wirklich ziemlich gut. Als Ivo zum ersten Mal den Refrain anstimmt und seine etwas rauchige Stimme durch den Raum klingt, ziehe ich die Augenbrauen hoch. Damn, der Typ hat echt eine krasse Stimme. Sie geht einem unter die Haut.
Viel Freude bereitet mir an dem Abend auch ein Mitglied aus dem Team des Sängers. Er ist dafür zuständig, Ivo zwischen den einzelnen Liedern die unterschiedlichen Gitarren anzureichen. Mich überzeugt er mehr mit seiner Emotionalität am Bühnenrand. Denn er springt auf und ab, fiebert mit und geht auch neben der Bühne einfach richtig ab. Total wholseome und süß. Ist schön, so ein bisschen Support, nicht nur vor, sondern auch neben der Bühne.
Auch der Song „Mensch“ ist für mich ein ziemliches Highlight an diesem Konzertabend. Ein Lied, das Ivo erst vor wenigen Monaten veröffentlicht hat und, wie er selbst erzählt, von Karrieren handelt und die Wichtigkeit von menschlichen Beziehungen beleuchtet. „Ich habe in den letzten Monaten in meinem Umfeld, aber sogar auch bei mir selbst, die Erfahrung gemacht, dass viele ihre Karrieren über andere Menschen stellen. Deswegen habe ich das Lied geschrieben“, berichtet er. „Warst du heute schon Mensch?“, stellt Ivo in dem Lied die Frage. Mitten in der zweiten Strophe dann das: Ivo verheddert sich in den Zeilen, vergisst einzelne Textstellen dann komplett. „Singt für mich weiter“, ruft er dann in die Menge, diesem Wunsch kommen wir alle auch gerne nach. Nach wenigen Zeilen steigt Ivo dann wieder und beendet das Lied sicher und unter viel Applaus. Als die letzten Töne verklungen sind, schüttelt er nur kurz mit dem Kopf. „Da übt man stundenlang und probt die ganze Zeit Lieder und vergisst am Ende doch Textzeilen. Tja Ivo, du bist eben auch nur ein Mensch.
Nach dem letzten Song „Diese Eine“ gibt’s eine kleine Zugabe, die Ivo wieder auf die Bühne holt. „Ey Dortmund, habt ihr vielleicht Lust, dass ich noch einmal „Küss mich“ spiele?“, fragt er. Natürlich wollen wir das. Alle gehen mit und Ivo lässt viele Zeilen von der crowd singen. Irgendwie stelle ich mir in diesem Moment wirklich vor, unter den Sternen zu sitzen mit einer Person, die ich wirklich mag. Es ist ein schönes Gefühl und ich mag es zu denken, dass es der ein oder anderen Person in diesem Raum vielleicht auch so geht. Das Konzert schließt Ivo mit der Ende 2023 erschienenen Single „Nur 3 Sekunden“ ab – „Jetzt kommt aber WIRKLICH der letzte Song“. Ivos Stimme erklingt ruhig und klar im Raum, noch bevor die Musik so richtig einsetzt. Diesmal bin ich es, die einen kleinen Freudentanz aufführt, einfach happy darüber, dass Ivo doch noch meinen Lieblingssong spielt. Wie auch auf dem Cover des Liedes leuchten die Lichter auf der Bühne nun rot und blau. Das Lied ist ruhig und doch hat man irgendwie Lust, sich dazu zu bewegen. Es klingt fast ein bisschen nach einer warmen Sommernacht, an dem einfach alles ein bisschen leichter ist und man sich frei fühlt. Von Vertrautheit und Sicherheit. An dem man einfach Mensch sein kann. Fast so, wie wir alle an diesem Abend auch.
Text: Maike Kotthaus
Foto: Carla Husemann